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18.11.2021
„Überschuldungs-Paradoxon“: Historischer Tiefststand trotz Corona
Neuss.(red) Die Zahl der überschuldeten Verbraucher hat 2021 einen
Tiefststand erreicht, es sind so wenige wie noch nie seit Beginn
der Auswertungen 2004. Die Zahl überschuldeter Privatpersonen
in Deutschland hat sich gegenüber dem Vorjahr
um rund 700.000 Fälle (- 10,1 Prozent) auf 6,16 Millionen
verringert. 3,08 Millionen Haushalte gelten damit als
überschuldet und nachhaltig zahlungsgestört. Die Überschuldungsquote,
also der Anteil überschuldeter Personen
im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland, sinkt
um mehr als einen Prozentpunkt auf 8,86 Prozent und ist
damit erstmals unter die Neun-Prozent Marke gefallen.
Creditreform/Boniversum/microm Presseinformation Seite 2
Verschleierte Überschuldungslage
„Die positiven Zahlen sind in Anbetracht der lang anhaltenden
Corona-Lage ein Überschuldungs-Paradoxon“, sagt
Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung
bei Creditreform. Bereits im vergangenen Jahr entwickelte
sich die Lage erstaunlich positiv. Die andauernden staatlichen
Hilfsmaßnahmen, insbesondere das Kurzarbeitergeld
und die Überbrückungshilfen, stützten massiv die Unternehmen
und damit auch Arbeitsplätze und Verbraucher.
„Die derzeit noch stabile Situation der Verbraucher ist eng
mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verbunden“, so
Hantzsch weiter. Die Folgen der Corona-Pandemie seien
bei der Überschuldung nicht akut spürbar, sondern würden
zeitverzögert und mit Langzeitwirkung auftreten. „Megatrends
wie gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise
und anhaltende Inflation wirken erst auf die Wirtschaft
und dann auf die Geldbeutel der Verbraucher“, erläutert
Hantzsch. Zudem haben angesichts der unklaren
Lage viele Verbraucher mit Ausgabenvorsicht und Konsumzurückhaltung
reagiert und dadurch mehr als 200 Milliarden
Euro zusätzlich seit Anfang 2020 angehäuft.
Stabile Lage, gemischte Aussichten
„Die aktuellen Zahlen zeigen uns einen positiven Gesamttrend
auf fast allen Ebenen“, sagt Stephan Vila, Geschäftsführer
von Creditreform Boniversum und microm. „Überschuldungsquoten
und Überschuldungsfälle sinken bei
Männern und Frauen sowie in fast allen Altersgruppen“, so
Vila weiter. Eine Entwarnung sei dieser Befund allerdings
nicht: „Zwar sinkt die direkte Betroffenheit von UnternehCreditreform/
Boniversum/microm Presseinformation Seite 3
men und Verbrauchern durch die Corona-Verordnung weiter“,
so der Experte, „derzeit sind aber immer noch 32 Prozent
oder rund 13,5 Millionen Haushalte von Einbußen
beim Haushaltsnettoeinkommen betroffen.“ Außerdem
habe der sogenannte „finanzielle Stress“ der Verbraucher
wieder zugenommen und sei auf dem höchsten Wert seit
Mai 2020.
Sondereffekte: Altersarmut und Privatinsolvenzen
„Altersarmut bleibt trotz allem ein Thema“, sagt Michael
Goy-Yun, Geschäftsführer von Creditreform Boniversum
und microm. „Die 60- bis 69-Jährigen zeigen 2021 als einzige
Altersgruppe einen Anstieg der Überschuldungsfälle
und -quote.“ Derzeit seien 769.000 Überschuldungsfälle in
diesem Alterssegment zu verzeichnen – ein Zuwachs von
44.000 Fällen oder 6 Prozent. Bedenklich: Die Zahl „harter“
Überschuldungsfälle mit juristisch relevanten Sachverhalten
steigt deutlich um 113.000 Fälle während die Zahl „weicher
Fälle“ mit geringer Intensität zurückgehe (- 69.000
Fälle). „Bei den Privatinsolvenzen können wir einen Sondereffekt
beobachten“, erläutert Stephan Vila. „Der deutlichste
Anstieg seit über zehn Jahren liegt vor allem an der verkürzten
Restschuldbefreiung von drei Jahren (bisher: sechs
Jahre). Die für 2021 zu erwartenden rund 100.000 Verbraucherinsolvenzverfahren
sind allerdings nur die Spitze des
Eisbergs, denn sie machen nur rund zwei Prozent der aktuellen
Überschuldungsfälle aus“, so Vila weiter.
Ländertrends durchgehend positiv
Positive Überschuldungsentwicklung zeigt sich 2021 sowohl
in Ost- als auch in Westdeutschland, wie zuletzt in den
Creditreform/Boniversum/microm Presseinformation Seite 4
Jahren 2008/09. „Alle 401 Kreise und kreisfreien Städte in
Deutschland verzeichnen einen Rückgang der Überschuldungsquote“,
sagt Michael Goy-Yun. Insgesamt sind in den
westlichen Bundesländern rund 5,17 Millionen, in Ostdeutschland
rund 0,99 Millionen Personen überschuldet.
Bei elf Bundesländern ist die Abnahme der Überschuldung
überdurchschnittlich, wobei Bayern die geringste Verbesserung
aufweist (6,43 Prozent; - 0,71 Punkte). Den deutlichsten
Rückgang kann Hamburg verzeichnen mit - 1,43 Punkten
auf 9,10 Prozent Überschuldung. Die Schlusslichter bleiben
wie in den Vorjahren Bremen (12,81 Prozent; - 1,16
Punkte), Sachsen-Anhalt (11,56 Prozent; - 1,06 Punkte) und
Berlin (10,81 Prozent; - 1,21 Punkte).
Neue ÜberschuldungsTypologie
„Die gemessenen Zahlen sind in dieser Deutlichkeit einmalig,
insbesondere im Kontrast zu den vorherigen Krisenmonaten.
Die dafür verantwortlichen Hilfen und Sondereffekte
sind zeitlich begrenzt, die Megatrends für Wirtschaft und
Verbraucher haben länger Bestand“, so Hantzsch. „Wir wollen
die Überschuldungslage der Verbraucher in Deutschland
deswegen noch präziser analysieren“, erläutert Michael
Goy-Yun. Dabei wird zukünftig einen neue „ÜberschuldungsTypologie“
helfen, die idealtypisch zeigt, welche
Überschuldungsintensität und Ursachendimension überschuldete
Verbraucher in Deutschland aufweisen. „Damit
können wir beispielsweise zeigen, dass nicht nur einkommensschwache
Personen von Überschuldung betroffen
sind, sondern beispielsweise auch Gutverdiener in exklusiven
Metropolregionen. Diese Erkenntnisse können wir nutzen,
um ein noch differenzierteres Bild zu zeichnen“, so
Creditreform/Boniversum/microm Goy-Yun, der mit dem Creditreform Tochterunternehmen microm die Typologie entwickelt hat. bid/fa
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